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Interview zum Fahrtreppen-Experiment: „Es kommt schnell zu Schubsereien“

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In London steht derzeit alles still. Zumindest auf den Fahrtreppen in der U-Bahn-Station Holborn. Hier weisen die Verkehrsbetriebe die Fahrgäste in einem weltweit einzigartigen Feldversuch an, auf den Fahrtreppen zu stehen und die goldene Regel „Rechts stehen, links gehen“ nicht mehr zu beherzigen.

Siny Thottakara, Leiter Fahrtreppen bei Schindler Deutschland

Siny Thottakara, Leiter Fahrtreppen bei Schindler Deutschland

Auf diese Weise möchten die Verantwortlichen die Förderkapazität erhöhen und die Staus an den Fahrtreppen zur Rushhour reduzieren. Wir wollten von Siny Thottakara, Leiter Fahrtreppen bei Schindler Deutschland, wissen, ob das funktioniert.

Herr Thottakara, „Rechts stehen, links gehen“, die goldene Rolltreppenregel – ist die irgendwo festgeschrieben?
Ich kann mich noch an die Hinweisschilder in Kaufhäusern und U-Bahn-Stationen erinnern, auf denen das früher geschrieben stand. Die sind aber mittlerweile weitestgehend verschwunden. Meines Wissens ist diese Regel „ungeschrieben“, das heißt, es gibt keine Rechtsvorschrift, die das explizit fordert. Hier hat sich eine Gewohnheit manifestiert und den Status einer Regel angenommen, an die sich die meisten halten. Es funktioniert und ist ein schönes Beispiel dafür, dass man nicht immer alles regulieren muss.

Was halten Sie von dem Versuch in London, diese Norm abzuschaffen?
Prinzipiell ist die Idee gut. Wie aus einer Studie britischer Forscher hervorgeht, lassen sich bis zu 30 Prozent mehr Menschen auf einer Fahrtreppe ab einer Höhe von 18,5 Metern transportieren, wenn sie nebeneinander stehen. Die Erklärung ist einfach: Wenn zwei Passagiere gleichzeitig die Treppe betreten, bildet sich nicht so eine große Traube am Zugang zur Treppe. Dennoch glaube ich nicht, dass die Gewohnheit der Menschen so schnell zu ändern ist.

Aber es kann ja nicht schaden, es zu versuchen – oder?
Es könnte jemand zu Schaden kommen. Auch wenn grundsätzlich natürlich das Unfallrisiko geringer ist, wenn alle stehen – wenn der eine Passagier auf seinem Recht besteht, links zu gehen, und der stehen bleibt, kommt es schnell zu Schubsereien. Das haben Soziologen vor einigen Jahren schon mal in München getestet.

Welche Möglichkeiten hat man denn überhaupt, die Förderkapazitäten von Fahrtreppen zu erhöhen?
In der Regel geht man davon aus, dass man auf einer Fahrtreppe im Schnitt 120 Menschen pro Minute transportieren kann. Das ist schon eine ganze Menge. Um die Förderkapazität zu beeinflussen, kann man beispielsweise die Geschwindigkeit variieren. Zwischen 0,4 und 0,75 Meter pro Sekunde sind zulässig. Allerdings darf man die Treppe nicht zu schnell einstellen, da sonst die Leute beim Betreten zögerlicher sind und so nur jede zweite Stufe genutzt wird. Dann bildet sich unter Umständen wieder ein Pulk am Zugang zur Treppe. Die meisten Fahrtreppen laufen daher mit 0,5 m/s

Kann man nicht einfach die Fahrtreppen breiter machen, sodass mehr Leute darauf passen?
Nein, die Stufenbreite bei Fahrtreppen darf in Deutschland nur zwischen 800 und 1100 Millimeter betragen. Das ist in der Europäischen Norm EN 115 geregelt. Würde man die Treppen zu breit machen, könnten sich die Passagiere unter Umständen nicht mehr am Handlauf festhalten, und damit würde sich das Unfallrisiko erhöhen.

Womit komme ich denn am schnellsten nach oben? Fahrtreppe, Treppe oder Aufzug?
Das hängt zum einen von Ihrer Kondition und zum anderen von der zurückzulegenden Strecke ab. Grundsätzlich ist die Fahrtreppe zur Massenbeförderung am besten geeignet, weil es keine Wartezeiten gibt. Wenn es darum geht, ein Stockwerk nach oben zu kommen, sind Sie sicherlich mit der Fahrtreppe am schnellsten oben. Wenn es um mehrere Etagen geht, kann der Aufzug wiederum schneller sein. Daher ist es in großen Gebäuden mit vielen Personen am besten, ein Verkehrsmanagementsystem wie die PORT Technology einzusetzen, das für jeden Fahrgast individuell den schnellsten Weg ermittelt. Die Personen werden je nach Fahrziel auf verschiedene Aufzüge verteilt oder auch auf die Fahrtreppe verwiesen, ohne dass sie sich darüber Gedanken machen müssen, wie sie am schnellsten ankommen.

Das Gespräch führte Jan Steeger.
Mehr zum Londoner Rolltreppen-Experiment gibt es bei süddeutsche.de und faz.net und weitere Informationen zur Planung und Sicherheit von Fahrtreppen auf der Schindler-Website.

Der Beitrag Interview zum Fahrtreppen-Experiment: „Es kommt schnell zu Schubsereien“ erschien zuerst auf Senkrechtstarter.


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